Du hast dich kein bisschen verändert…

Du hast dich kein bisschen verändert…

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Diesen Satz habe ich vor Kurzem zu hören bekommen, als ich eine Bekannte traf, die mich zuletzt vor etwa einem Jahr gesehen hatte. Zunächst habe ich mich darüber gefreut. Denn offenbar bin ich kein bisschen älter geworden – oder es ist mir gelungen, meine neuen grauen Haare erfolgreich zu verstecken.

Etwas später habe ich über diese Redewendung nachgedacht. Ist es wirklich etwas Gutes, wenn man sich nicht verändert? Wäre es nicht eigentlich besser, wenn man nach einem Jahr eine Veränderung erkennen könnte? Schliesslich ist ein Jahr eine lange Zeit, in der viel passiert. Jeder sammelt täglich neue Erfahrungen und lernt Neues dazu. Vielleicht ändern wir auch unsere Einstellung. Nicht zuletzt bemühen wir uns, unser Aussehen zu optimieren und fit zu bleiben. Wir wollen gesund wirken, aktiv sein und ab einem gewissen Alter so altern, dass wir frisch wirken – nicht abgeschlafft oder fade.

Denkt mal darüber nach, wenn ihr jemandem zum Geburtstag gratuliert und sagt: «Bleib wie du bist!» Ist das wirklich das, was wir wollen? Geht es nicht vielmehr darum, sich stetig weiterzuentwickeln? Passiert es nicht sowieso, dass wir gar nicht gleichbleiben können, da sich alles um uns herum ständig verändert? Wenn wir dann mittendrin so bleiben, wie wir sind, hinken wir dann nicht allem hinterher – oder verlieren gar den Anschluss?

Wenn ich so darüber nachdenke, erscheint es mir passender, wenn man sich bei einem Wiedersehen nach längerer Zeit, bei der Begrüssung sagen würde: «Wow, du hast dich aber verändert!» «Was ist alles passiert?» «Wie bist du zu deiner neuen Version von dir geworden?»
Natürlich ist das etwas überspitzt formuliert –  man möchte ja nicht jeder Person, die man länger nicht gesehen hat, gleich alle Erfahrungen und Gedanken, die in der Zwischenzeit aufgekommen sind, im Detail erzählen.

Trotzdem finde ich es eigenartig, wenn sich jemand über längere Zeit gar nicht verändert. Für mich klingt das wie «Ich stecke fest» oder «Ich komme nicht weiter» – und nicht nach ich bleibe dynamisch und entwickle mich stetig. Natürlich muss man nicht immer gleich alles verändern. Aber Veränderungen gehören zum Leben. Es ist ganz normal, neue Ansichten zu entwickeln; neue Gewohnheiten anzunehmen oder alte Eigenschaften abzulegen, die nicht mehr zu einem passen. Es geht darum, mit der Zeit zu gehen und herauszufinden, was man braucht, um glücklich zu sein.
Dazu gehört auch, sich selbst immer wieder zu hinterfragen und gegebenenfalls etwas anzupassen. Das prägt unser Wesen und manchmal auch unser äusseres Erscheinungsbild. Dies anzunehmen und zu akzeptieren, erscheint mir sinnvoller, als über Jahre gleichzubleiben und «kein bisschen verändert» zu wirken.

So gesehen, ist dieses vermeintliche Kompliment fast schon unverschämt…  aber natürlich habe ich den Satz von meiner Bekannten trotzdem als Kompliment verstanden – denn so war er sicher auch gemeint. Vielleicht sehe ich sie in einem Jahr wieder – mal schauen, was sie dann zu mir sagt und was sich bis dahin alles verändert hat?

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